Der FDP-Chef zeigt sich in einem Video als Verteidiger aller innovations- und gründerfreudigen Menschen. Berechtigtes Plädoyer für den Freiraum des Einzelnen oder ein marktliberaler Schuss übers Ziel hinaus?
Online-Prominenz dank verbaler Schlagkombination
Nach dem Tapeten- und Farbenwechsel beim diesjährigen Dreikönigstreffen kann die FDP kurz vor der Bürgerschaftswahl in Hamburg zusätzliche öffentliche Aufmerksamkeit verbuchen. Grund ist ein Redeausschnitt von Parteichef Christian Lindner aus dem Landtag in Nordrhein-Westfalen, der zum YouTube-Hit avanciert[1].
In seinem Debattenbeitrag zum Umgang der Politik mit Gründer*innen greift Lindner einen Zwischenruf von SPD-Fraktionsgeschäftsführer Volker Münchow auf, wonach sich Lindner ja mit Unternehmensgründungen auskenne – eine vermeintlich elegante Anspielung auf die Insolvenz einer Unternehmensgründung im Jahr 2001, an der Lindner beteiligt war.
Den Zwischenruf aufnehmend fährt Lindner schwere verbale Geschütze auf. Seine spontane Replik hat zwei Stoßrichtungen: Zum einen greift er Münchow persönlich an und unterstellt ihm, sein Leben lang in Staatstätigkeit gelebt zu haben – dass hier das Eis schnell dünn wird, hat die Süddeutsche schön herausgearbeitet.[2] Zum anderen will er hinter dem spöttischen Einwurf eine – klassisch sozialdemokratische – Ablehnung gegenüber Innovation und Gründergeist erkannt haben.
Die Gefahr der „sozialdemokratischen Umverteiler“?
Junge Gründer*innen könnten demnach nur verlieren – sind sie erfolgreich, komme „sozialdemokratische Umverteilung“ auf sie zu, scheitern sie, würde man ihnen mit Häme begegnen. Lindners Zielsetzung wird schnell deutlich, einmal abgesehen davon dass er der Chance sich rhetorisch gekonnt in Szene zu setzen nicht abgeneigt war: Zu viel staatliche Eingriffe und eine zugleich fehlende Anerkennungskultur schränkten die Gestaltungsfreiheit des Einzelnen ein. Somit würd auch sein Potential, das sich in einer Unternehmens- oder Existenzgründung ausdrücken könnte, erstickt. Am Ende steht eine Gesellschaft, die sich ihrer Innovation selbst beraubt. Diese Argumentationslinie folgt dem Liberalitätsverständnis, das Lindner schon beim Dreikönigstreffen propagiert hat[3]. Doch was ist, bezogen auf das Gründer*innenbeispiel, dran an diesem Gedanken?
Recht hat Lindner, wenn er mehr Anerkennung und Unterstützung für Menschen einfordert, die den Mut zur Innovation aufweisen. Dazu gehört auch, Scheitern gesellschaftlich zu akzeptieren. Eine Gesellschaft, deren Erfolgsverständnis und Leistungsideal keinen Raum für unternehmerisches Risiko lässt, schränkt das Individuum in der Tat stark ein. Hier deckt sich Lindner mit der Regierungserklärung von SPD-Ministerpräsidentin Kraft, und sein Appell für mehr Akzeptanz dürfte manchen jungen Menschen, der in seinem Umfeld für eine Start-up-Idee und gegen die Beamtenlaufbahn argumentiert, freuen. Aber wie sieht es mit der zweiten Gefahr für die Innovation, der sozialdemokratischen Umverteilung aus? Ist es falsch, dass die Gesellschaft Teile individuellen unternehmerischen Erfolges beansprucht? Ein Erfolg, der von der Gemeinschaft mit ermöglicht wurde – mit rechtstaatlichen Rahmenbedingungen, sozialer und logistischer Infrastruktur und letztlich auch mit ökonomischen Anreizen. Hier kommt die Theorie zurück zum Beispiel, hat doch Lindners Unternehmensgründung von der staatlichen Förderung der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) profitiert. Und dass unternehmerisches Scheitern auch in unserer Gesellschaft nicht zwingend das ökonomische und gesellschaftliche Aus bedeuten muss, beweist Lindner exemplarisch ja selbst.
Welche liberale Linie fährt die FDP?
Mit seinem Angriff auf den Staat als Mitspieler im Spannungsverhältnis zwischen dem individuellen Freiraum zur Innovation und den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ist Lindner im Unrecht. Das von ihm aufgegriffene Gründer*innenthema zeigt als Gedankenspiel exemplarisch die notwendigen Verknüpfungen zwischen Freiheit und Absicherung, Eigenbesitz und Gemeingut. Lindners verkürzter Blick birgt die Gefahr, dass auch die FDP den liberalen Gedanken erneut zu kurz denkt.[4]
Wie die Balance zwischen Umverteilung und Freiraum für Innovation genau aussieht, mag an anderer Stelle ausdiskutiert werden (und darüber lässt sich mit guten Gründen trefflich streiten). Wieviel sozialliberale Elemente Lindners FDP-Linie in ihren Argumentationslinien aber enthält – und wieviel er davon zuzugeben bereit ist – dürfte aber auch ohne konkrete Zahlen und Szenarien eine spannende Frage bleiben.
[2]Denkler, Thorsten: „Dank Pleite zum Internet-Star“, Süddeutsche Zeitung Online vom 02.02.2015
[3] Kelnberger, Josef: „Neue Klarheit, alte Werte“, Süddeutsche Zeitung vom Online vom 06.01.2015
[4] Siehe auch: Prantl, Heribert: „Der FDP fehlt das Feuer, nicht die Farbe“, Süddeutsche Zeitung Online vom 06.01.2015