Anno 1968
Ein längst vergessener, beinahe 50 Jahre alter SPIEGEL-Titel sollte SPD-Genossen im Wahljahr aufhorchen lassen. „SPD in der Talsohle“ steht auf dem Cover von Mai 1968, also anderthalb Jahre, bevor Willy Brandt 1969 zum Bundeskanzler wurde. Was war passiert?
Die SPD, damals noch mit fast 800.000 Mitgliedern, hatte die Landtagswahl im Noch-Nicht-CDU-Stammland Baden-Württemberg verloren. Die Partei fuhr ein sattes Minus von 8,2 % im Vergleich zu 1964 ein und fiel auf 29 % zurück, „in das 30-Prozent-Getto“ (sic). Im SPIEGEL-Artikel ist von der „bedeutsamste[n] Wahlschlappe seit Kriegsende“ die Rede. Der Parteivorsitzende und Außenminister in der ersten Großen Koalition, Willy Brandt, dachte an Rücktritt. Ein Wahlsieg 1969 erschien unwahrscheinlich.
Denn nicht nur diese Landes-Wahl hatte die SPD unter dem heutigen Partei-Übervater verloren: Vier weitere Schlappen hatten die Sozialdemokraten im Superwahljahr 1967 eingefahren, darunter Bremen (-8,7%), Niedersachsen (-1,2%), Rheinland-Pfalz (-3,9%) und Berlin (-5,0%). Einzig in Schleswig-Holstein blieb es annähernd stabil. Mit Baden-Württemberg waren fünf Wahlen in gut einem Jahr verloren, drei davon sogar in Folge.
Dass die SPD im Dezember 1966 die Opposition verließ, um in die Regierung zu gehen, war laut SPIEGEL 1968 keine gute Idee gewesen: „[D]ie Wahl von Baden-Württemberg war eine Entscheidung gegen die Große Koalition. Und da es die SPD war, die diese Koalition wollte und ermöglichte, trifft die Niederlage auch den Richtigen.“
Die SPD sei durch die Große Koalition in „tödlicher Umarmung zur Liebe gezwungen“, gleichzeitig würden sozialdemokratische Regierungsleistungen in der Öffentlichkeit untergehen. Erstaunliche Parallelen zu 2017: Die SPD ist in einer Großen Koalition, drei Landtagswahlen in Folge sind verloren, und derzeit stehen die Chancen für die Bundestagswahl schlecht. Doch vielleicht läuft es ja wie damals, anno 1968.