Was vom Neuanfang geblieben ist: Acht Jahre nach Obamas Kairo-Rede.

Ein Rednerpult mit dem Präsidentenemblem vor rotem Vorhang, jeweils zwei Flaggen der Vereinigten Staaten und Ägypten und die ehrwürdige Festhalle der Universität Kairo: Diese Bühne hat sich Barack Obama am 4. Juni 2009 ausgesucht, um die Welt zu verändern.

Heute genau vor acht Jahren wollte der wenige Monate zuvor gewählte Präsident mit einer Rede adressiert an die islamische Welt, zumindest rhetorisch, einen Neuanfang (A new beginning) wagen.

Nicht weniger als ein Neuanfang zwischen der islamischen Welt und den Vereinigten Staaten. Und mit nicht weniger als dem Nobelpreis wurde er für diese Rede bedacht. Nicht nur beim Nobelpreiskomitee kehrte mit der Rede die Hoffnung auf Annäherung zwischen der islamischen und der us-amerikansichen Welt zurück, welche spätestens seit dem 11. September 2001 in vermeintlich unerreichbare Ferne gerückt ist.

Heute ist die Hoffnung, die Obama von Kairo in die Welt trug, weitgehend verblasst. Der arabische Frühling hat eine ganze Diktatorengeneration in den Kampf gegen die eigenen Bürgerinnen und Bürger verstrickt, in Syrien zerfrisst ein Krieg sein sechs Jahren das gesamte Land und eine terroristische Miliz, die sich selbst mit den Begriffen „islamisch“ und „Staat“ schmückt, treibt in syrisch-irakischen Gebieten und darüber hinaus ihr Unwesen. Auch in anderen Teilen der Welt sind fundamentale Gruppierungen, die sich auf den Islam beziehen, auf dem Vormarsch. Gegenseitige Vorurteile, die Obama mit seiner Rede zu überwinden suchte, nehmen wieder deutlich an Fahrt auf, nicht zuletzt durch einen neuen Präsidenten, der mit seiner Kampagne gegen Muslime die Spannungen auf einen vorläufigen Höhepunkt treibt.

Die Vorzeichen für eine Annäherung zwischen den Vereinigten Staaten und der islamischen Welt sind so schlecht wie lange nicht mehr.

Und trotzdem; die Kairo-Rede war eine der größten Errungenschaften der Obama-Präsidentschaft.

Sie steht stellvertretend dafür, was Obama zu leisten imstande war und dafür, was er niemals leisten konnte – und bisweilen möglicherweise auch nicht leisten wollte.

Das politische Vermächtnis in der Frage der Annäherung ist allenfalls gemischt. Mit dem Drohnenkrieg hat Obama ein Mittel geschaffen, Exekutionen fernab von internationalem Recht durchzuführen und damit die Vorbehalte vieler Muslime gegen die us-amerikanische Außenpolitik stärkte. Auch sein Versprechen, das Gefängnis von Guantanamo Bay zu schließen, welches für so viele in der islamischen Welt sinnbildhaft für den menschenverachtenden Umgang mit vermeintlich Verdächtigen war, konnte er nicht halten. Und schließlich war er nicht in der Lage, sich von dem schwerwiegenden Erbe fragwürdiger militärischer Einsätze im Nahen Osten zu befreien.

All das kann auch nicht mit dem Hinweis auf Sachzwänge und systemische Einschränkungen mit Hinblick auf die Schwierigkeiten der amerikanischen Politik entschuldigt werden. Viele progressiv eingestellt Leute hätten sich eine andere politische Haltung und bisweilen auch eine andere ideologische Unterfütterung gewünscht.

Dennoch, in Kairo manifestiert sich Obamas größtes Talent: Er verbindet seine persönliche Geschichte mit den großen politischen Themen und bewegt die Leute so dazu, nach Gemeinsamkeiten und nicht nach Unterschieden zu suchen. Diese Fähigkeit hat ihn schon jetzt zu einer der großen Personen des 21. Jahrhunderts gemacht. Im Gegensatz zu anderen großen Persönlichkeiten war Obama nie die Speerspitze einer Bewegung, die für Freiheit oder Bürgerrechte gekämpft hat, noch war er ein Vorbild für das Streiten gegen globale Ungleichheit.

Aber Obama inspiriert die Menschen, indem er ihnen eine Geschichte erzählt, die drei Kontinente und viel mehr Orte verbindet: Eine Geschichte von einem Kind einer Arbeitertochter aus Kansas und eines kenianischen Dorfsohnes, das den größten Teil seiner Kindheit in Honolulu und Jakarta verbracht hat.

Auch die Kairo-Rede ist voll von diesem reichen Erbe. Seine ständige Suche nach der eigenen Identität und der Kampf um das dazugehören hat viele jungen Leuten geholfen ihren Platz in dieser Welt zu finden.

Er hat eine junge Generation inspiriert, die die Grenzen in unseren Köpfen einreißen will, die die Welt nicht nur lebenswert für sich selbst machen wollen, sondern auch für alle anderen, unabhängig davon, wer sie sind oder woher sie kommen. Leute, die auch durch ihn erkannt haben, dass junge Menschen überall auf der Welt, trotz ihrer verschiedenen Ausgangssituationen ähnliche Träume, Zweifel und Herausforderungen haben.

Obama steht dafür vielmehr mit seiner eigenen Geschichte, als mit seiner Politik. Er hat den Leuten den Mut gegeben, zu handeln, auch wenn er nicht immer für sie gehandelt hat.

Das ist der Geist von Kairo: Eine Generation, die die Überzeugung daran nicht verloren hat, dass die Welt zusammenwachsen soll, auch wenn sie bisweilen droht, auseinanderzudriften.

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