Warum Günther?

Die EU-Kommission startet aus der Neujahrspause, indem sie verhältnismäßig deutliche Kritik an den Geschehnissen in Polen äußert. Warum genau diese Rolle von EU-Kommissar Günther Oettinger ausgefüllt wurde, bleibt unklar – wir hätten da ein paar Thesen.

Ein den Jahreswechsel 2015/16 prägendes politisches Thema waren die massiven politischen Veränderungen in Polen. Die neugewählte PiS-Regierung blockierte direkt nach ihrem Regierungsantritt im November 2015 die Einsetzung neuer Verfassungsrichter, verabschiedete ein Gesetz das die Macht des Verfassungsgerichts insgesamt beschränken soll und legte nun Ende 2015 mit einem umstrittenen Mediengesetz nach, welches die Besetzung der Rundfunkleitungen der Regierung unterstellt. Darüber hinaus wurde ein Gesetz auf den Weg gebracht, wonach hohe Verwaltungspositionen nicht mehr als Stellen ausgeschrieben werden, sondern direkt von der Regierung besetzt werden.
Einiges an Konfliktpotenzial – nicht nur für die polnische Gesellschaft, sondern auch für die Europäische Union. Deren Vertreter*innen äußerten sich bislang allenfalls verhalten kritisch – mit Ausnahme von EU-Kommissar Günther Oettinger. Er kritisierte die Neuerungen scharf und brachte den EU-Rechtsstaatsmechanismus ins Spiel, wonach Polen am Ende ein Verfahren wegen Verletzung der Grundwerte der EU drohen könnte. Das wirft die Frage auf: Warum Günther?
Zu diesem Phänomen lassen sich mehrere erklärende Thesen aufstellen:
Die Mikado-These: Aufbauend auf der bekannten „Mikado-Theorie“ und ihrer speziellen Ausprägung, dem Phänomen des Beamtenmikado, wonach das Verwaltungsmitglied, welches als erstes zuckt, die anstehenden Aufgaben zugewiesen bekommt. Nach dieser These wäre Oettinger unfreiwillig bei der Neujahrssitzung in den Delegations-Fokus von Kommissionschef Juncker geraten.
Die Kanzleramts-These: Um die Eskalationsregeln im internationalen diplomatischen Betrieb einzuhalten, und um keinen allzu großen Streit vom Zaun zu brechen, empfiehlt es sich, provokative Aussagen oder inhaltlich harte Positionen von politischen Personen der Peripherie vorformulieren zu lassen. Hierfür bietet sich Oettinger an. Durch lose Kontakte aus der Vergangenheit soll er dem Kanzleramt in Berlin bekannt sein und damit auf den Radar gerutscht sein. Er könnte natürlich auch von Juncker vorgeschickt worden sein, aber dieser hätte regional passendere Alternativen. Sollten diese es ausgesessen haben, würde sich wiederum eher die Mikado-These bestätigen.
Die Digitale These: Oettinger könnte in kompetenz-präventiver Manier – vielleicht nach guten Vorsätzen des neuen Jahres handelnd – das Thema aufgrund der Kausalkette „Mediengesetz – Medien – Digitale Wirtschaft und Gesellschaft – Oettinger“ als seines identifiziert und pflichtbewusst abgearbeitet haben.
Die Urlaubs-These: Möglich wäre es zu guter Letzt auch noch, dass Oettinger als erstes Mitglied der EU-Kommission aus dem Weihnachtsurlaub zurückgekehrt ist und damit das Thema auf den Tisch bekam. Durch seine physische Anwesenheit konnte er keine Posts in sozialen Medien oder als Mahnbriefe getarnten Postkarten als Arbeitsnachweis vorschieben, sondern musste eine klassische Mitteilung herausgeben.
Eine Frage, die sich durch keine dieser Thesen beantworten lässt, bleibt offen: Warum die EU-Kommission ebenso wie ihre übrigen Mitgliedsländer bei der Demontage des demokratischen Systems eines ihrer wichtigsten Mitglieder – insbesondere rund um das polnische Verfassungsgericht – bisher derart untätig blieb, dass es Günther Oettinger vorbehalten war die bisher deutlichste Position zu beziehen.

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