Die EU und Griechenland – Machtpoker sondergleichen

Seit dem Wahlsieg von Syriza und dem anschließenden Regierungswechsel scheinen die Beziehungen zwischen Griechenland und europäischen Playern (Euro-Gruppe, Europäische Kommission, aber auch die deutsche Bundesregierung) angespannt bis angeschlagen. Die Debatte steuert auf Konfrontation zu, und manch einer sieht den „Grexit“ schon wieder auf der Agenda. Wie lassen sich die aktuellen Verbalangriffe einordnen?

Griechenlands Weg in und aus der Krise bietet Raum für eine ideologische Schlacht um die Deutungshoheit in der Frage, was die Europäische Union sein kann und soll. Wie weit geht der Gemeinschaftsgedanke, bis zur gegenseitigen Haftung für Schulden? Und welches sind die passenden ökonomischen Rezepte für einen Weg aus der Krise, der auch bis zum Ende beschreitbar ist? Über diese Fragen streitet Europas Politik seit geraumer Zeit, und die Fronten verhärten sich zusehends. Die durch die fehlgeschlagene Präsidentschaftswahl ausgelösten Neuwahlen in Griechenland haben neuen Schwung in das Karussell gebracht. Spannend ist dabei, sich den aktuellen Diskurs als Teil verschiedener Verhandlungsstrategien anzuschauen.

Poker um Angst und Zugeständnisse

Das Linksbündnis Syriza ist in Griechenland in Abgrenzung zum Spar- und Sanierungskurs der Troika (EU, EZB, IWF) stark geworden. Denn eben jenes Sparprogramm hat für viele Griechen einschneidende bis existenzielle wirtschaftliche und gesellschaftliche Folgen gehabt – dementsprechend war der Wahlkampf von Syriza auch auf die Änderung der bisherigen Haushaltspolitik und eine Entlastung breiter gesellschaftlicher Schichten ausgerichtet.

Um beim Wahlvolk zu punkten, formulierte Syriza weitreichende Forderungen, welche bei vielen Menschen Hoffnungen weckten, in den europäischen Gremien allerdings Unbehagen. Die europäische Sparpolitik könnte delegitimiert werden, wenn Griechenland den Sonderweg gehen dürfte, was würden die übrigen „Problemländer“ (Spanien, Portugal, Irland, mit Abstrichen auch Italien) sagen? Diese Sorgen trieben europäische – aber insbesondere auch deutsche – Politiker*innen dazu, öffentliche Gegenpositionen zu beziehen, Schuldenschnitte für unmachbar zu erklären und durch die „Grexit“-Debatte der griechischen Bevölkerung indirekte Wahlempfehlungen zukommen zu lassen. Innenpolitisch wurde dies von der Nea Dimokratia aufgegriffen, Endzeitszenarien wurden an die Wand gemalt für den Fall, dass Syriza an die Macht käme.[1]

Hinter beiden Strategien kann man das Ziel verorten, die Pflöcke der eigenen Position möglichst weit beim Gegenüber einzuschlagen, um selbst bei schrittweisem Einlenken immer noch die eigenen Maximalziele zu erreichen. Nachdem Syriza im Wahlkampfendspurt – insbesondere in Person von Alexis Tsipras – schon einige inhaltliche Abstriche gemacht hatte, um die Wähler*innen nicht aus Angst zur ND ziehen zu lassen, so ist der jetzige Wechsel in Ton und Inhalt nur nachvollziehbar. Nachdem die Wahl gewonnen ist, stehen die Verhandlungen mit der Troika und den europäischen Partnern an. Hier gilt es aus Syriza-Perspektive, besagte Pflöcke so einzuschlagen, dass die Wahlkampfversprechen weitgehend umgesetzt werden können und Griechenland trotzdem eine wirtschaftliche und politische Perspektive innerhalb des Euro-Raums hat. Die Regierung steht also einerseits durch die anstehenden Verhandlungen und die europäische „Grexit“-Debatte unter Druck, andererseits sieht sich das inhaltlich breit aufgefächerte Linksbündnis mit hohen Erwartungen und zahlreichen Forderungen aus der Gesellschaft konfrontiert. Ergänzt wird diese Situation der heterogenen Anforderungen um die politische Stoßrichtung des neuen Koalitionspartners.

Wenn nun also Tsipras, sein Finanzminister Varoufakis und andere vorpreschen, so lässt sich das mit dem Wunsch vieler Griechen nach schnellen Veränderungen und einer entsprechenden Verhandlungsstrategie erklären. Die europäischen Verhandlungspartner, über die letzten Jahre am längeren Hebel und im Vorfeld der Wahlen zunehmend deutlicher in ihren Warnungen und Szenarien, werden nun überrascht, brüskiert (wie im Falle von Jeromen Dijsselbloem) und – ihrer eigenen Logik folgend – zu Reaktionen gezwungen.

Zugleich, und das ist einer der positiven Aspekte der jüngsten Entwicklungen, kommt Bewegung in die bisher festgefahrene Debatte. Die neu griechische Regierung versucht den Blick auf Handlungsalternativen zu lenken und wirbt für ihren Weg, Reformen stärker mit der Wiederherstellung sozialer Mindeststandards zu verbinden. Die Gesprächsrunden der vergangenen Tage zeigen, dass sich – auf bestimmten Ebenen und in geringem Maße – die Debatte wandelt. Freilich sind die finalen Verhandlungsrunden noch nicht gespielt, wie die aktuellen Verhandlungen der Euro-Gruppe zeigen. Aber immerhin wird – tendenziell – über Konzepte diskutiert und nicht auf rein ideologischer Grundlage

Am Ende dieses argumentativen und strategischen Diskurs-Schlagabtausches werden sich die Parteien wohl aufeinander zubewegen. Die Debatte um „Grexit“ dagegen wird als – inhaltlich zwar fragwürdiges – Damoklesschwert sicherlich noch weiter den Verhandlungsdiskurs begleiten.[2]

Die Folgen des Machtpokers – die Debatten verändern sich

Der beschriebene Poker um die beste Ausgangssituation für Verhandlungen hat vielfache Konsequenzen. Die aktuell stärkste wird deutlich, wenn man sich Ton und Tempo in den Debatten der letzten Woche anschaut: Die Schraube der Übertreibungen und Konfrontationen wird immer weiter fortgesetzt, auch in der medialen Aufarbeitung. Das jeweilige Bild vom Gegenüber wird überzeichnet und in seiner Eindimensionalität gefestigt.[3]

Auf der anderen Seite geschieht – mitunter im Windschatten der medialen Aufregung – auch positives: Die Erweiterung der bisherigen Debatte um bis dato ignorierte wirtschaftspolitische Ansätze und die Perspektivverschiebung hin zu Reformpotenzialen (die Höhe der Zinszahlungen an das griechische Wachstum zu koppeln oder der Austausch von Staatsanleihen bei der EZB[4]; Bekämpfung von Korruption und Steuerhinterziehung auf griechischer und europäischer Ebene; Entlastungen im Sozialstaatsbereich)[5] kann in jedem Fall als Hoffnungsschimmer angesehen werden. Auf dem Tisch liegen nun viele Ansätze, mit denen man die beiden Grundinteressen (Bonität Griechenlands und der Eurozone & griechische Sanierung ohne bisherige Zumutungen für die Bevölkerung) annähern könnte.

Auch hier wird selbstverständlich verhandelt und gepokert werden, stehen sich doch ideologisch Austeritäts- und Privatisierungsbefürworter auf der einen sowie Wachstums- und Sozialstaatsbefürworter auf der anderen Seite gegenüber.

Die Folgen des Machtpokers – Flächenbrand statt Feuerakrobatik?

Was aber, wenn die Nebenfolgen dieser Pokerspiele nicht mehr kontrolliert werden können? Wenn nationale Vorurteile den Ton der Debatte bestimmen, europafeindliche und populistische Bewegungen sich mehr Gehör verschaffen? Wie trennt man das Pottpurri an Argumenten, das sich aus „faulen Griechen“, Korruptionsvorwürfen, Entschädigungszahlungen für Verbrechen des Nationalsozialismus, (technisch nicht machbarem) Rauswurf Griechenlands aus der EU, Betrugsvorwürfen bei Griechenlands Euro-Beitritt und dem Drang europäischer Rüstungsinteressen nach griechischen Importen ergeben hat (um hier nur einen Ausschnitt zu nennen)?

Fazit: Die Hegemonie der Austeritätsideologie, mit der die Euro-Krise in den vergangenen Jahren primär bearbeitet wurde, hat tiefe Gräben in der europäischen Solidargemeinschaft entstehen lassen. Die Entscheidung des griechischen Souveräns, in den offenen Widerstand zu treten, kann eine Signalwirkung für andere Länder (besonders Spanien) entwickeln. Diesen politischen Protest aufzufangen und in die europäische Gemeinschaft einzuhegen ist nun die entscheidende Aufgabe. Noch hat die EU, hat die Bundesregierung die Möglichkeit zu gestalten. Sollten aber die – aus machttaktischen Gründen hochgepeitschten – Konfrontationen weiter die Debatte bestimmen, wird der Zusammenhalt des europäischen Projekts auf Jahre hinaus gefährdet sein.

[1] Vgl. Schlötzer, Christiane: „gibt’s nicht“ in: Süddeutsche Zeitung Nr. 25, 31.01./01.02.2015

[2] Siehe dazu Gaus, Bettina: „Theaterdonner, nichts weiter“ in: TAZ am Wochenende, 31.01./01.02.2015

[3] Vergleiche u.a. Schulz, Daniel: „Deutschland der Ahnungslosen“ in: TAZ am Wochenende, 31.01./01.02.2015

[4] Siehe dazu: Hermann, Ulrike: „Verhandeln mit ‚simplen‘ Wahrheiten“ in: TAZ am Wochenende, 31.01./01.02.2015

[5] Empfehlenswert natürlich auch der Blog von Varoufakis

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